Globale Gesundheit im Fokus: Ein Interview mit Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/die Grünen)
In dieser Interviewreihe sprechen wir mit politischen Entscheidungstragenden, wie globale Gesundheit künftig auch ohne eigenen Unterausschuss dauerhaft im deutschen Bundestag verankert werden kann und welche Rolle Deutschland in Zukunft spielen sollte. Unser Gast heute ist Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Berichterstatterin für globale Gesundheit der Partei Bündnis 90/ die Grünen.
Sie sind Berichterstatterin für globale Gesundheit in Ihrer Fraktion: Was sind für Sie die wichtigsten Herausforderungen im Bereich globale Gesundheit in der laufenden Legislaturperiode?
Eine zentrale Herausforderung ist die drohende Abkehr von Staaten von ihrer Verantwortung für die globale Gesundheit – sowohl finanziell als auch politisch. Die USA sind bereits aus der WHO ausgetreten. Es kostet Leben, wenn nationale Interessen in den Vordergrund rücken, während internationale Solidarität schwindet. Der Klimawandel wirkt dabei als zusätzlicher Krisenverstärker. Steigende Temperaturen, Extremwetterereignisse und Umweltzerstörung bedrohen die Gesundheit von Millionen Menschen. Sie fördern die Ausbreitung von Infektionskrankheiten, verschärfen Hungerkrisen und destabilisieren Gesundheitssysteme weltweit.
Globale Gesundheit kann nur durch gemeinsames Handeln gesichert werden. Kein Land ist isoliert – die Welt gleicht einem Netzwerk, in dem jeder Knoten zählt. Wenn ein Teil bricht, gerät das Ganze ins Wanken. Deshalb braucht es mehr internationale Kooperation, verlässliche Finanzierung und politische Führungsverantwortung, um die Gesundheit weltweit zu stärken.
Was sind die Schwerpunkte des Gesundheitsausschusses mit Blick auf globale Gesundheit und welche Themen wollen Sie persönlich im Bereich globale Gesundheit voranbringen?
Ein Schwerpunkt liegt auf der Weiterentwicklung der globalen Gesundheitsarchitektur. Nach den Beratungen zu den Änderungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften steht - nach den letzten Abstimmungen auf der 79. World Health Assembly - die Überführung des internationalen Pandemievertrags in nationales Recht bevor. Dabei geht es darum, Lehren aus der COVID-19-Pandemie zu ziehen und die internationale Zusammenarbeit in Prävention, Vorsorge und Krisenreaktion zu stärken.
Eines meiner zentralen Anliegen ist der Einsatz für Geschlechtergerechtigkeit in der globalen Gesundheit. Der weltweite Rückschritt bei Frauenrechten, reproduktiver Gesundheit und der Gleichstellung muss aufgehalten werden. Ich setze mich dafür ein, dass Frauen, Kinder und LGBTQ+-Personen überall auf der Welt gleichen Zugang zu Gesundheitsversorgung und Schutz haben.
Wir erleben derzeit eine ‚pandemic of mental health‘. Es ist mir ein wichtiges Anliegen, mich auch in der internationalen Gesundheitspoltik für die Stärkung der seelischen Gesundheit einzusetzen. Das ist wichtig individuell für die Betroffenen und entscheidend zur Stabilisierung von Demokratien.
Wie kann globale Gesundheit künftig ohne eigenen Unterausschuss im Parlament verankert werden?
Ich halte es für einen Fehler, dass die Koalition aus SPD und CDU/CSU keinen Unterausschuss eingesetzt hat. Das wird der großen Bedeutung dieses Themas nicht gerecht. Globale Gesundheit muss jetzt wenigstens regelmäßig und ausführlich Thema im Gesundheitsausschuss sein – mindestens einmal im Quartal. Auch der Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung befasst sich fortlaufend mit Fragen globaler Gesundheit. Mit gemeinsamen Sitzungen könnten wir der Komplexität globaler Gesundheitsfragen besser gerecht werden. Eine konkrete Struktur dafür gibt es derzeit noch nicht. Globale Gesundheit ist kein Randthema, sondern eine zentrale Querschnittsaufgabe für internationale Solidarität, Sicherheit und Entwicklung.
Globale Gesundheit ist ein Bereich, in dem multisektorale Zusammenarbeit wichtig ist: Wie tragen Sie dazu bei, dass gesundheitspolitische Aspekte in Bereichen wie z.B. Entwicklungs-, Forschungs-, Außen- oder Umweltpolitik in Ihrer Fraktion mitgedacht und integriert werden?
Mein Ansatz ist „Health in and for All Policies“ – Gesundheit muss in allen Politikbereichen mitgedacht werden. Das gilt national wie global.
Wie beurteilen Sie die Zusagen Deutschlands zu internationalen Gesundheitsbeiträgen (z. B. an WHO, Global Fund, Gavi), und welche Maßnahmen halten Sie für notwendig, damit diese auch unter Haushaltsdruck eingehalten werden können?
Deutschlands Zusagen an internationale Gesundheitsinitiativen wie die WHO, den Global Fund oder Gavi bleiben hinter den Erwartungen zurück. Der Beitrag zum Global Fund wurde im Vergleich zu früheren Jahren reduziert, und auch beim UNFPA, einer zentralen Organisation für Frauen-, Kinder- und reproduktive Gesundheit, drohen Kürzungen.
Deutschland leistet zwar relevante Beiträge, doch diese reichen nicht aus. Ich meine, in Zeiten der globalen Verunsicherung und des Erstarkens autoritärer Kräfte muss Deutschland mehr und nicht weniger Verantwortung für globale Gesundheit übernehmen. Die Bundesregierung vergibt die Chance, Deutschland als positives Beispiel und verlässlichen Partner auf dem Feld der globalen Gesundheit zu positionieren. Stabile Beiträge zu globaler Gesundheit stärken auch unsere eigene Gesundheit und Sicherheit.
Im November steht die COP30 bevor. Gesundheit spielt in den Klimaverhandlungen bislang nur eine Nebenrolle. Wie kann Deutschland Ihrer Ansicht nach dazu beitragen, dass Klima und Gesundheit, insbesondere mentale Gesundheit und der Schutz vulnerabler Gruppen in der internationalen Klima- und Gesundheitspolitik stärker verankert werden?
Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für die menschliche Gesundheit, auch für die seelische Gesundheit. Die im Rahmen des Sondervermögens zur Bekämpfung des Klimawandels vorgesehenen Mittel sollten auch für Maßnahmen verwendet werden, die Gesundheit und Klima gemeinsam stärken.
Ein Beispiel dafür wäre ein „Green Hospital Förderprogramm“, mit den Krankenhäusern unterstützt werden könnten, energieeffizienter, klimafreundlicher und widerstandsfähiger zu werden.
Investitionen in Begrünung und Hitzeschutz im öffentlichen Raum sind doppelt wirksam: Sie schützen das Klima schützen und die Gesundheit.
Grüne Oasen, Schattenräume, saubere Luft und sichere Rückzugsorte täten nicht nur dem Klima gut, sondern auch der Seele und wirken gegen Einsamkeit.
International sollte Deutschland Partnerschaften ausbauen, die Forschung, Prävention und innovative Projekte im Bereich Klima und Gesundheit fördern. Dabei müssten die Bedürfnisse der betroffenen Menschen im Mittelpunkt stehen. Gleichzeitig könnte auch Deutschland von diesen Partnerschaften lernen – etwa durch neue Ansätze in Klimaanpassung, Prävention und sozialer Resilienz.
Die World AMR Awareness Week 2025 (18.-24. November) steht unter dem Motto „Act Now: Protect Our Present, Secure Our Future“. Angesichts fehlender Anreizsysteme für neue Antibiotika, Problemen bei der Erstattung von Reserveantibiotika und Lücken in der Überwachung - welche Rolle kann der Gesundheitsausschuss konkret dabei spielen, dass Deutschland eine stärkere Führungsrolle im Kampf gegen AMR einnimmt, z.B. durch nachhaltige Anreize für Innovation, bessere Daten und hohe Umweltstandards?
Antimikrobielle Resistenzen gehören zu den größten globalen Gesundheitsgefahren.
Ohne wirksame Antibiotika verlieren wir eine zentrale Grundlage der modernen Medizin.
Deshalb besteht dringender Handlungsbedarf – national wie international.
Das Thema lässt sich nur im Sinne des One-Health-Ansatzes bewältigen – also durch das gemeinsame Denken von menschlicher, tierischer und Umweltgesundheit.
Besonders die Massentierhaltung und der dort verbreitete Einsatz von Antibiotika wirken als Brutstätten für antimikrobielle Resistenzen (AMR). Aber auch der unsachgemäße Gebrauch von Antibiotika in der Humanmedizin trägt maßgeblich zur Entwicklung resistenter Erreger bei.
Ziel muss sein, tragfähige Verbesserungen zu entwickeln und die gesetzlichen Grundlagen im Sinne einer starken, zukunftsfähigen Gesundheitspolitik weiterzuentwickeln. Darüber hinaus muss die Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART 2030), die 2023 von der damligen Bundesregierung verabschiedet wurde, konsequent weiterverfolgt und umgesetzt werden. Die Massentierhaltung in ihrer jetzigen Form darf so nicht weiter bestehen.
Doch klar ist: Deutschland allein kann AMR nicht bekämpfen.
Nur durch internationale Kooperation, nachhaltige Forschung und die konsequente Umsetzung des One-Health-Ansatzes kann es gelingen, antimikrobielle Resistenzen langfristig einzudämmen.