Globale Gesundheit in der Krise: Warum die Welt eine gerechte und robuste Gesundheitsarchitektur braucht

17. November 2025 I  News ,  Politics ,  Health Financing  I von : Dr. Sonja Grigat (Referentin Globale Gerechtigkeit und nachhaltige Entwicklung bei VENRO)
Vera Aksionava/Shutterstock

Die globale Gesundheit steht an einem Wendepunkt. Reformen müssen Menschenrechte, Geschlechtergerechtigkeit und Inklusivität stärken. Deutschland trägt besondere Verantwortung.

Die globale Gesundheit befindet sich an einem kritischen Wendepunkt. Zwei Entwicklungen prägen die Situation: eine Regulierungskrise und eine Finanzierungskrise. Während Pandemien, der Klimawandel und geopolitische Spannungen die Gesundheitssysteme weltweit belasten, drohen internationale Institutionen und Partnerschaften handlungsunfähig zu werden. Besonders Länder des Globalen Südens spüren die Folgen am stärksten – obwohl sie am dringendsten auf globale Solidarität angewiesen sind.

Zersplitterte Architektur und ungerechte Machtverhältnisse

Das globale Gesundheitssystem ist hochgradig fragmentiert. Regierungen im Globalen Süden müssen unzählige parallele Anforderungen und Berichtspflichten erfüllen. Internationale Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation WHO, das gemeinsame Programm der Vereinten Nationen für HIV/Aids (UNAIDS), die Impfallianz Gavi oder der Globale Fonds harmonisieren ihre Verfahren kaum und passen sie selten an nationale Systeme an. Das Ergebnis: Wertvolle Ressourcen fließen in Bürokratie statt in Gesundheitsversorgung.

Dazu kommt ein strukturelles Machtgefälle: Reiche Staaten (v.a. die G7 und die G20) und große Stiftungen dominieren die Entscheidungsstrukturen. Damit setzen Akteure mit den größten finanziellen Mitteln die Prioritäten. Diese Ungleichgewichte verschärfen Abhängigkeiten und verhindern gleichberechtigte Mitgestaltung.

Eine gefährliche Finanzierungslücke

Parallel zur strukturellen Überlastung schwinden die finanziellen Mittel. Der Rückzug der USA aus Teilen der Entwicklungszusammenarbeit hat besonders den Gesundheitssektor getroffen. Mit einem Anteil von rund 41 Prozent der globalen öffentlichen Entwicklungsgelder (ODA) für Gesundheit waren die USA zentraler Akteur in der Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern sowie der Bekämpfung von HIV/AIDS. In Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo war diese Unterstützung teils die einzige externe Finanzierungsquelle.

Auch europäische Staaten – darunter Deutschland – haben ihre ODA-Mittel gekürzt und damit das internationale Ziel verletzt, 0,7 Prozent des Brottoinlandsprodukts (BIP) für Entwicklungszusammenarbeit bereitzustellen. Mindestens 0,1 Prozent davon sollten in die Gesundheit fließen – eine Zusage, die zunehmend untergraben wird. Die Konsequenz: Programme werden ausgedünnt, Systeme geschwächt, Menschenleben gefährdet.

UN-Einrichtungen, die WHO, UNAIDS sowie multilaterale Partner wie Gavi und der Globale Fonds geraten damit in eine existenzielle Lage. Gleichzeitig verschärfen Klimawandel und Pandemie-Risiken die gesundheitlichen Herausforderungen – doch eine koordinierte globale Reaktion bleibt oft aus. Die schleppenden Verhandlungen zum neuen WHO-Pandemievertrag sind ein warnendes Beispiel.

Globale Reformen als Chance – oder Risiko

Vor diesem Hintergrund diskutiert die Welt im Rahmen des UN80-Prozesses über eine Reform der internationalen Gesundheitsarchitektur. Ziel ist es, die Vereinten Nationen und das globale Gesundheitssystem kohärenter, inklusiver und rechenschaftspflichtiger zu gestalten und Machtungleichheiten abzubauen.

Doch Reformen dürfen nicht bereits bestehende Schutzmechanismen zerstören. Eine Abschwächung oder gar Auflösung von UNAIDS etwa würde Partizipation und Rechte betroffener Gruppen schwächen – ein Rückschritt, den sich die globale Gemeinschaft nicht leisten darf. Stattdessen muss die Reform Solidarität, Transparenz und die Perspektiven der Zivilgesellschaft stärken.

Welche Elemente sind für eine gerechte Gesundheitsarchitektur notwendig?

Eine zukunftsfähige globale Gesundheitsordnung braucht klare Leitwerte:

  • Legitimität & Inklusivität: Entscheidungsprozesse müssen transparent und breit legitimiert sein – unter aktiver Einbeziehung betroffener Bevölkerungsgruppen und zivilgesellschaftlicher Organisationen.
  • Menschenrechte & Geschlechtergerechtigkeit: Besonders marginalisierte Gruppen müssen im Mittelpunkt stehen. Geschlechtergerechtigkeit und sexuelle sowie reproduktive Rechte dürfen nicht verhandelbar sein.
  • Stärkung lokaler Verantwortung: Gesundheitsprogramme müssen durch Länder selbst geführt werden. Dazu gehört der Aufbau lokaler Kapazitäten – von Verwaltung bis zu regionaler Produktion von Medikamenten und Impfstoffen.
  • Solide, nachhaltige Finanzierung: Neben der Einhaltung internationaler Finanzierungszusagen braucht es neue, ergänzende Finanzierungsmodelle.
  • Starke Monitoring-Mechanismen: Fortschritte müssen messbar, unabhängig geprüft und geschlechter- sowie gruppenspezifisch erfasst werden.
  • Regionale Forschung und Produktion: Lokale Systeme brauchen Ressourcen, um medizinische Innovationen zu entwickeln und selbst Produkte herzustellen.

Positive Beispiele zeigen, dass inklusive Strukturen funktionieren – etwa die Country Coordinating Mechanisms des Globalen Fonds, in denen Betroffene und Zivilgesellschaft gleichberechtigt mitentscheiden.

Deutschland muss Verantwortung übernehmen

Als wirtschaftlich starkes Land und verlässlicher Partner im Multilateralismus trägt Deutschland besondere Verantwortung. Gerade in Zeiten wachsender globaler Konkurrenz muss Deutschland klar für eine gerechte internationale Ordnung einstehen – und durch eigene Mittel und diplomatische Führung zeigen, dass globale Solidarität keine leere Formel ist. Kürzungen im Entwicklungsbudget senden nicht nur ein falsches politisches Signal, sondern gefährden konkret Menschenleben und globale Stabilität.

Wofür wir uns bei VENRO einsetzen

Die globale Gesundheitslandschaft steht an einer entscheidenden Wegscheide. Gesundheit ist ein Menschenrecht und ein globales öffentliches Gut. Es braucht mutige politische Entscheidungen und echte Partnerschaft, damit niemand zurückgelassen wird.

Wir fordern deshalb:

  • Deutschland muss sich dafür einsetzen, dass Betroffene und Zivilgesellschaft in globalen Gesundheitsentscheidungen systematisch beteiligt werden.
  • Die Bundesregierung muss das 0,7-Prozent-Ziel einhalten und mindestens 0,1 Prozent des BIP für Gesundheit bereitstellen.
  • Zwischenstaatliche Partnerschaften müssen die Entwicklung lokaler Gesundheitskapazitäten, Produktion und zivilgesellschaftlicher Strukturen im Globalen Süden systematisch fördern.

 

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