Part 1: Globale Gesundheit unter Druck: Allgemeine Gesundheits-versorgung priorisieren

30. Juli 2025 I  News ,  Neues aus dem Hub  I von : Felice Hellweg

In unserer Artikelserie Globale Gesundheit unter Druck beleuchten wir die Auswirkungen der US-Mittelkürzungen in der Entwicklungszusammenarbeit und Veränderungen der globalen Gesundheitsarchitektur auf die globale Gesundheit. Wir sprechen dazu mit Expert*innen aus Wissenschaft, Politik und der internationalen Zusammenarbeit. Im heutigen Beitrag steht die allgemeine Gesundheitsversorgung im Mittelpunkt.

Die allgemeine Gesundheitsversorgung (Universal Health Coverage, UHC) soll allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zu angemessenen und hochwertigen Gesundheitsdienstleistungen ermöglichen, ohne sie in eine finanzielle Notlage zu bringen.¹ UHC ist ein zentrales Ziel der Agenda 2030 und im SDG-Ziel 3.8 verankert. Ausbrüche von HIV/Aids, Covid-19 oder Ebola haben uns verdeutlicht, was es bedeutet, wenn dieser Zugang nicht gewährt ist und wie wichtig resiliente Gesundheitssysteme sind. Unter fehlender Finanzierung in Gesundheitssysteme für die Erreichung von UHC leiden insbesondere die vulnerabelsten Bevölkerungsgruppen. Trotzdem sind Gesundheit und UHC momentan keine globalen Prioritäten. Die politischen Entwicklungen in den USA stehen globaler Gerechtigkeit im Gesundheitsbereich sogar im Weg. In Anbetracht dieser Schwierigkeiten, ist es ermutigend, dass Südafrika in seiner G20 Präsidentschaft die Themen UHC und primäre Gesundheitsversorgung (Primary Health Care, PHC) prominent auf die G20-Gesundheitsagenda gesetzt hat. Die Frage ist jedoch, wie das globale Ziel, UHC zu erreichen, eine Priorität bleiben und langfristig, nachhaltig finanziert werden kann – gerade in politisch unsicheren Zeiten für globale Gesundheit.

Gesundheit für alle? Warum allgemeine Gesundheitsversorgung (UHC) und Primary Health Care (PHC) so wichtig sind für die globale Gesundheit

„Idealerweise sollten wir in einer Welt leben, in der alle Menschen Zugang zu den grundlegenden [Gesundheits-]Diensten haben, die sie benötigen, aber dieses Ziel ist noch weit entfernt. Der Erfolg wird ein schrittweiser Fortschritt sein, um die Menschen aus der gesundheitsbedingten Armut zu befreien“

Aktuell hat über die Hälfte der Weltbevölkerung keinen ausreichenden Zugang zu essenziellen Gesundheitsdienstleistungen. Rund zwei Milliarden Menschen müssen Gesundheitsausgaben aus der eigenen Tasche bezahlen – was sie teils in den finanziellen Ruin treibt.²

Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bedeutet allgemeine Gesundheitsversorgung, „dass alle Menschen und Gemeinschaften die Gesundheitsdienste erhalten, die sie benötigen und zwar in angemessener Qualität, wobei gleichzeitig sichergestellt wird, dass die Inanspruchnahme dieser Dienste nicht zu einer finanziellen Notlage führt. UHC umfasst das gesamte Spektrum an Gesundheitsdiensten von der Gesundheitsförderung über die Prävention, Behandlung, Rehabilitation und Palliativversorgung über den gesamten Lebensverlauf,“ UHC umfasst drei Dimensionen: die abgedeckte Bevölkerung, die bereitgestellten Gesundheitsdienstleistungen und die abgedeckten Kosten. Ungefähr 90% der Maßnahmen, die für UHC unerlässlich sind, können über primäre Gesundheitsversorgung abgedeckt werden.

In der Deklaration von Alma Ata von 1978 erklärte die WHO Gesundheit zu einem grundlegenden Menschenrecht und stellte die primäre Gesundheitsversorgung (Primary Health Care, PHC) als zentrales Instrument zu dessen Verwirklichung vor. PHC ist niedrigschwellig zugänglich und liegt nah am Wohnort der Personen, die sie in Anspruch nehmen. Sie erfolgt ambulant, das heißt nicht längerfristig im Krankenhaus, sondern bei Hausärzten oder in kommunalen Gesundheitszentren. Neben der sekundären oder stationären Versorgung und der tertiären Rehabilitation stellt sie das Fundament der Gesundheitlichen Versorgung dar.³

Primäre Gesundheitsdienstleistungen schützen Menschenleben unmittelbar, wie uns Marwin Meier im Interview verdeutlicht. Er ist politischer Referent für Gesundheit und Flucht bei World Vision, mit über 20 Jahren Erfahrung im Gesundheitsbereich in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Organisationen. Zunächst war er für ADRA (Adventist Development and Relief Agency) als Landesdirektor in Togo und auf den Philippinen tätig. Anschließend arbeitete er bei World Vision, zunächst zu HIV/Aids und dann zu Mütter- und Kindgesundheit. Durch primäre Gesundheitsdienstleistungen werden beispielsweise Moskitonetze ausgegeben, um gefährdete Bevölkerungsgruppen gegen Malaria zu schützen. Während der Covid-19 Pandemie wurden jedoch aufgrund von Lockdowns in vielen Ländern keine Netze verteilt und einige Gesundheitszentren waren geschlossen, berichtet Marwin Meier. Dadurch stiegen laut WHO die Infektionszahlen von Malaria im Jahr 2020 um 14 Millionen auf 241 Millionen und die Zahl der Todesfälle auf 627.000.⁴ Eine verlässliche allgemeine Gesundheitsversorgung ist daher unerlässlich.

UHC: Wo wollen wir bis 2030 hin?

UHC ist Teil der nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs), die sich die internationale Gemeinschaft bis 2030 gesteckt hat, ausgestaltet ist sie im Unterziel 3.8. Dazu zählen eine finanzielle Risikoabsicherung, Zugang zu qualitativ hochwertigen grundlegenden Gesundheitsdiensten und der Zugang zu Medikamenten und Impfstoffen, die wirksam, sicher und hochwertig, aber trotzdem noch erschwinglich sind.

Auch sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte (Sexual and reproductive health and rights, SRHR) sind ein integraler Bestandteil allgemeiner Gesundheitsversorgung. Die ehemalige Gesundheitsministerin von Guinea-Bissau Dr. Magda Robalo, ist heute Co-Vorsitzende des UHC2030 Steuerungskomitees, Interim Geschäftsführerin von Women in Global Health und die Präsidentin und Mitbegründerin des Instituts for Global Health and Development. Der fehlende Zugang zu Basisgesundheitsleistungen für Frauen, Mädchen und vulnerable Bevölkerungsgruppen und die damit einhergehende Benachteiligung hat sie ihre gesamte Karriere über begleitet. Im Interview mit uns erläutert sie, warum es eine geschlechtergerechte allgemeine Gesundheitsversorgung braucht. Frauen stellen das Fundament von Gesundheitssystemen dar. Weltweit sind 70% des gesamten Gesundheitspersonals Frauen – im Pflegebereich liegt der Anteil sogar bei 90%.⁵ „Eine allgemeine Gesundheitsversorgung können wir nicht erreichen, wenn die Bedürfnisse, Beiträge und Führungsrollen von Frauen nicht ausreichend berücksichtigt werden – und zwar auf eine Weise, die der gesamten Bevölkerung zugutekommt. […] Wenn in unserem Gesundheitssystem die Bedürfnisse von Frauen in Gesundheitseinrichtungen nicht berücksichtigt werden, [...] verpassen wir wichtige Lernmöglichkeiten. Denn sie wissen am besten, wie man Mütter, Kinder und schwangere Frauen versorgt. Und auch in Führung und Management gehen wertvolles Wissen, Erfahrung und Fürsorgekompetenz verloren – also genau die Stärken der Menschen, die den Großteil des globalen Gesundheitssystems ausmachen“, erklärt Dr. Magda Robalo.

Von einer geschlechtergerechten allgemeinen Gesundheitsversorgung sind wir jedoch noch weit entfernt. Ein Grund dafür sind auch fehlende Daten. „Frauen werden unsichtbar gemacht“, kritisiert Dr. Robalo. Tatsächlich werden Daten im Gesundheitsbereich noch immer nicht konsequent nach biologischem Geschlecht disaggregiert. Das bedeutet, dass Daten für Männer und Frauen nicht getrennt voneinander dargestellt werden. So berichteten während der Covid-19 Pandemie ca. 60% der Länder weltweit, dass sie ihre Daten nicht gezielt nach biologischem Geschlecht aufschlüsseln. Das hat verheerende Konsequenzen: Da lange Zeit angenommen wurde, dass das biologische Geschlecht körperlich bis auf die Größe und reproduktive Funktionen keinen Unterschied machen würde, wurde in der Medizin bis ins späte 20. Jahrhundert der biologisch männliche Körper als Norm angesehen.⁶ Durch fehlende Studien sind beispielsweise Medikamente häufig immer noch entsprechend der biologisch männlichen Norm dosiert – zu hoch für biologisch weibliche Körper.

Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu UHC ist, dass deutlich weniger Menschen Gesundheitskosten aus eigener Tasche zahlen müssen, die im Verhältnis zu ihrem Einkommen zu hoch sind. Eine mögliche Strategie, um Gesundheitsdienstleistungen für alle Menschen erschwinglich zu machen, sind sozial gerechte, solidarische Krankenversicherungen. Im Interview mit uns erklärt Dr. Magda Robalo, dass der Auf- und Ausbau von nationalen Krankenversicherungen eine langfristige Aufgabe für Staaten ist und einer sorgfältigen Planung bedarf. Insbesondere Regularien wie bspw. die Wahl der Serviceanbieter*innen, die Abdeckung von Familienmitgliedern oder die Berechnung der Beitragssummen sind eine wichtige Voraussetzung für zuverlässige Krankenversicherungssysteme, doch laut Dr. Robalo kämpfen viele Länder gerade mit diesem Aspekt. Sie nennt jedoch Indonesien als ein positives Beispiel für die Einführung einer effektiven Krankenversicherung. Marwin Meier nennt zudem Brasilien als positives Beispiel für eine gut funktionierende allgemeine Krankenversicherung. Auf dem afrikanischen Kontinent ist Rwanda ein Vorreiter in Sachen allgemeine Gesundheitsversorgung:

Die finanzielle Absicherung von Personen innerhalb eines Gesundheitssystems muss laut Dr. Magda Robalo Hand in Hand gehen mit dem Ausbau der notwendigen Infrastruktur: „Damit die Menschen einen Beitrag zur Krankenversicherung leisten können, müssen sie die Dienstleistungen erhalten, die sie brauchen.“ Denn wenn ein Land zwar ein solidarisches Krankenversicherungssystem anbietet, aber beispielsweise keine Medikamente in den Apotheken verfügbar sind, werden Menschen auch nicht für das Krankenversicherungssystem bezahlen.

Auswirkungen der US-Mittelkürzungen auf UHC

Für den Ausbau von UHC braucht es substanzielle finanzielle Mittel. Laut einer Analyse des Institute for Health Metrics and Evaluation an der Universität von Washington kamen ca. 32% der globalen Gesundheitsfinanzierung aus den USA. Schätzungen zufolge sinken die finanziellen Mittel der USA im Fiskaljahr 2025/2026 um neun bis zehn Billionen USD und sogar um 30 bis 40 Billionen in den nächsten drei bis fünf Jahren.⁷

Im Bereich UHC sind dadurch insbesondere massive Rückschritte in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten zu erwarten. Die WHO geht von 15 Millionen neuen Malariafällen und 107.000 Toten durch Malaria allein in diesem Jahr, sowie 3 Millionen zusätzlichen Toten durch HIV/Aids bis 2030 aus.⁸ Wenn Medikamente gegen HIV/Aids durch Engpässe nicht mehr zur Verfügung stehen, sterben erkrankte Personen ohne Einnahme nach 4 bis 5 Jahren, verdeutlicht Marwin Meier. „An der Gesundheitsversorgung hängen Menschenleben“, ruft er in Erinnerung. Die Zukunft der HIV/Aids Bekämpfung ist alles andere als sicher. Die Bewilligung des Notfallplans des US-Präsidenten zur Aids-Bekämpfung (PEPFAR) ist im März ausgelaufen, auch wenn der Kongress noch Mittel bis Ende September per Fortsetzungsbeschluss bewilligt hat. Die tatsächliche Auszahlung bleibt jedoch fraglich. Die Washington Post berichtet, dass die Gesundheitsdienste in ganz Afrika laut Angabe von Angeli Achrekar, stellvertretende Exekutivdirektorin des Gemeinsamen UN-Programms für HIV/Aids (UNAIDS), weiterhin unterbrochen sei. Insbesondere betroffen sind Länder wie Haiti, Kenia und Nigeria, die kurz davorstehen, ihre antiretroviralen Medikamente aufzubrauchen. Angeli Achrekar berichtet, dass in Kenia nach dem anfänglichen Zahlungsstopp rund 41.500 Gesundheitsdienstleister*innen und Gemeindebeschäftigte im Gesundheitsbereich, die durch PEPFAR finanziert wurden, ihren Job verloren hätten. Bis Ende März 2025 seien davon nur 11.000 wieder eingestellt worden.

Auch World Vision ist von den Mittelkürzungen der USA betroffen. Da World Vision selbst jedoch keine Medikamente ausgibt oder Impfungen durchführt, entsteht bei ihnen keine Versorgungslücke. Im personellen Bereich dürfte das jedoch anders aussehen – Gesundheitsfachkräfte sind eine essenzielle Säule im Gesundheitssystem und unabdinglich für UHC. World Vision arbeitet vor allem in der Implementierung und bildet Gesundheitspersonal in Gemeinden (Community Health Worker) aus. Weltweit arbeiten 120.000 Community Health Worker und freiwillige Gesundheitshelfer*innen in Gemeinden für World Vision. Diese Projekte plant und setzt World Vision gemeinsam mit der Zivilgesellschaft vor Ort um - in enger Abstimmung mit den Regierungen in den Projektländern. Sie haben eine sehr lange Laufzeit von bis zu 20 Jahren und bieten mehr Sicherheit und Planbarkeit als kürzere Projekte.

¹٫² WHO (2025): Universal health coverage (UHC). https://www.who.int/news-room/fact-sheets/detail/universal-health-coverage-(uhc)

³ Vgl. WHO (2018): Primary health care: closing the gap between public health and primary care through integration. Technical Series on Primary Health Care. https://iris.who.int/bitstream/handle/10665/326458/WHO-HIS-SDS-2018.49-eng.pdf?sequence=1

⁴ Pharmazeutische Zeitung (2021): Tausende mehr Malaria-Tote wegen Corona-Pandemie. www.pharmazeutische-zeitung.de/tausende-mehr-malaria-tote-wegen-corona-pandemie-130101/

⁵ Women in Global Health (2020): Positionspapier Frauen in Gesundheitsberufen. globalhealth.charite.de/fileadmin/user_upload/microsites/ohne_AZ/m_cc11/globalhealth/Dokumente/WGHG_Position_Papers/WGH-GER_Positionspapier_Frauen_in_Gesundheitsberufen.pdf

⁶ Epstein, S. (2008). Inclusion: The politics of difference in medical research. University of Chicago Press; Perez, C. C. (2019). Invisible women: Data bias in a world designed for men. Abrams.

⁷ Science (2025): Trump has blown a massive hole in global health funding—and no one can fill it. www.science.org/content/article/trump-has-blown-massive-hole-global-health-funding-and-no-one-can-fill-it

⁸ Merkur (2025): WHO-Chef befürchtet Millionen Tote durch US-Förderstopp. www.merkur.de/politik/who-chef-befuerchtet-millionen-tote-durch-us-foerderstopp-zr-93631958.html

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