„Während Infektionen zunehmen und neue Medikamente ausbleiben – schlafwandeln wir in eine globale Gesundheitskrise?“

17. November 2025 I  News ,  Politics ,  AMR  I von : Dr Manica Balasegaram, Geschäftsführer von Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP)
Fotograf: Pornpak Khunatorn/Getty Images

Zwar hat das politische Engagement rund um die Krise der antimikrobiellen Resistenzen deutlich nachgelassen, doch die Gefahr für unsere Gesundheit bleibt.

Antibiotikaresistenzen (AMR) stellen eine ernsthafte Bedrohung für die Grundlagen der modernen Medizin dar. Ohne wirksame Antibiotika lassen sich gewöhnliche Infektionen nur noch schwer behandeln, und wichtige medizinische Verfahren wie Operationen und Chemotherapien werden wesentlich riskanter oder sogar unmöglich. 

Die Entwicklung neuer Antibiotika ist eine wichtige Säule, doch ebenso entscheidend ist es, deren Zugang und Anwendung zu optimieren. Prävention, Hygienemanagement und ein verantwortungsvoller Einsatz von Medikamenten, unterstützt durch den Zugang zu schnellen Diagnosemöglichkeiten, tragen wesentlich dazu bei, Resistenzen zu reduzieren. Aber wo stehen wir ein Jahr nach dem High-Level-Meeting der Vereinten Nationen? Wir müssen uns ein klareres Bild der AMR-Situation weltweit verschaffen. Wir benötigen dringend eine umfassendere Strategie im Sinne des One-Health-Ansatzes, die die Gesundheit von Menschen, Tieren und Umwelt miteinander verbindet.

Ähnlich wie die bekannte Klimaschwelle von 1,5 Grad Celsius wird auch die Einhaltung kritischer Umweltgrenzen seit Langem als entscheidend angesehen, um katastrophale Folgen zu verhindern. Bei der eskalierenden Krise antimikrobieller Resistenzen ist jedoch bislang kein klar definierter kritischer Grenzwert festgelegt, was uns auf einen potenziell gefährlichen Pfad führen könnte.

Am Montag, den 13. Oktober 2025 veröffentlichte jedoch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen Bericht, der darauf hindeutet, dass wir möglicherweise einen solchen kritischen Kipppunkt nun erreicht haben.

Laut dem Bericht, der Daten aus über 100 Ländern auswertet, haben arzneimittelresistente Infektionen in den vergangenen Jahren stark zugenommen. In einigen Regionen machen sie bereits ein Drittel aller Infektionen aus.

Eine wachsende Anzahl von Belegen zeigt, dass die am schwierigsten zu behandelnden Infektionen die Entwicklung neuer Antibiotika überholen – entweder, weil die passenden Medikamente die betroffenen Menschen nicht erreichen, oder weil diese gar nicht erst entwickelt werden. Infolgedessen wird erwartet, dass die Zahl der Todesfälle durch AMR bis 2050 um 70 Prozent steigen wird. 

Trotz der großen Aufmerksamkeit und der erheblichen Mittel, die aktuell in die Forschung und Entwicklung neuer Antibiotika fließen, wird immer deutlicher: Es reicht nicht aus, einfach nur neue Antibiotika zu entwickeln. Es müssen die richtigen Antibiotika sein. Solche, die Infektionen bekämpfen, die für die Gesundheit am wichtigsten sind. Und genau das ist derzeit nicht der Fall. Zwar befinden sich rund 90 antimikrobielle Wirkstoffe in der klinischen Entwicklung doch von den wirklich innovativen – also nicht nur Varianten bestehender Antibiotika – richten sich nur fünf gegen mindestens einen der von der WHO definierten „Prioritätserreger“. Dabei handelt es sich um multiresistente Infektionen, die die größte Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Mit anderen Worten:  Wir schaffen es nicht, die durch Resistenzen verlorenen Antibiotika zu ersetzen, und wie der WHO-Bericht zeigt, machen sich die Folgen dieser Lücke bereits deutlich bemerkbar.

Erschwerend kommt hinzu, dass nach wie vor belastbare Daten fehlen. Zwar gibt es weltweit Fortschritte bei der Überwachung von AMR, doch insbesondere in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen, in denen die Krankheitslast am höchsten ist, bestehen weiterhin große Lücken.

Was wir wissen:  Viele Menschen erhalten nicht die Antibiotika, die sie benötigen. Forschungen, die meine Organisation in diesem Jahr durchgeführt hat, zeigen, dass bei mehr als 1,5 Millionen Fällen sogenannter Gram-negativer Infektionen – schwerwiegender und schwer zu behandelnden bakteriellen Infektionen – in acht ärmeren Ländern die passenden Antibiotika im Durchschnitt nur in 6,9 % der Fälle verfügbar waren. In einigen Ländern lag der Wert sogar bei nur 0,2 %.

Es braucht einen grundlegenden Wandel – nicht nur in der Reaktion auf AMR, sondern auch in der Art und Weise, wie wir darüber sprechen. Bisher lag der Fokus zu Recht auf dem übermäßigen Einsatz von Antibiotika. Doch das reicht nicht mehr aus. Um den kritischen Kipppunkt zu vermeiden, müssen wir auch den mangelnden Zugang zu Antibiotika in den Blick nehmen, der die Resistenzentwicklung ebenfalls vorantreibt. Wenn die richtigen Antibiotika nicht entwickelt oder nicht verfügbar gemacht werden und Infektionen unbehandelt bleiben, können sich Bakterien ausbreiten und Resistenzen entwickeln, was Infektionen langfristig noch schwieriger behandelbar macht. Um das zu verhindern, müssen die Entwicklung neuer Antibiotika beschleunigt und gleichzeitig ihr verantwortungsvollen Einsatz gefördert werden.

Es ist entscheidend, dass die Welt erkennt und anerkennt, dass wir diesen kritischen Kipppunkt erreicht haben. Fast genau vor einem Jahr, als die politische Erklärung zu AMR bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet wurde, einigten sich die Mitgliedstaaten auch auf neue Ziele. Dazu gehören die Stärkung globaler Gesundheitssysteme, die Umsetzung des „One Health“-Ansatzes zur besseren Koordinierung von Maßnahmen in den Bereichen Human-, Tier- und Umweltgesundheit sowie Ziele zur Stärkung von Diagnostik und zur Verringerung der Sterblichkeit.

„Die gute Nachricht ist: Im Gegensatz zur 1,5-Grad-Schwelle, die allgemein als Punkt ohne Wiederkehr gilt, ist eine Umkehr bei AMR noch möglich.“

Ein Jahr später scheint jedoch ein Großteil des politischen Engagements im Kampf gegen AMR bereits wieder verflogen zu sein. Zudem fehlt weiterhin eine entscheidende Bezugsgröße, um einschätzen zu können, wie nah wir einem kritischen Kipppunkt kommen. Der neue Bericht liefert zwar weitere Belege dafür, dass sich multiresistente Infektionen inzwischen schneller ausbreiten, als neue Antibiotika entwickelt werden, doch noch immer gibt es keine klaren Messgrößen, um diesen Trend zu erfassen.  Ohne eine solche Definition besteht die Gefahr, dass wir weiterhin schlafwandelnd in eine globale Gesundheitskrise hineinsteuern.

Die gute Nachricht: Wir können noch gegensteuern. Im Gegensatz zur 1,5-Grad-Schwelle in der Klimakrise, die allgemein als Punkt ohne Umkehr betrachtet wird, ist eine Trendwende bei AMR noch möglich.

Irgendwann im Laufe unseres Lebens wird wahrscheinlich jede und jeder von uns eine Behandlung mit Antibiotika benötigen. Angesichts der zentralen Bedeutung für die moderne Medizin und des nahezu unvergleichlichen Einflusses, den Antibiotika auf unsere Gesundheit haben, können wir es uns schlicht nicht leisten, untätig zu bleiben.

 

Hinweis: Dieser Artikel wurde ursprünglich von The Guardian veröffentlicht.

Dieser Beitrag spiegelt die Gedanken von Dr. Manica Balasegaram, Geschäftsführender Direktor der Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP), wider. Die geäußerten Ansichten sind seine eigenen und spiegeln nicht zwangsläufig die Positionen des Global Health Hub Germany wider.

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